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Kapitel 87 Die geistige Sonne, Buch 2

Das neunte Gebot. Besitzrecht und Nutzungsrecht

(Am 17. Oktober 1843 von 4 3/4 – 7 Uhr abends.)

1. Wir sind bereits im neunten Saal und erschauen allda wieder unsere Rundtafel, auf welcher es geschrieben steht:

2. „Du sollst nicht nach dem verlangen, was deines Nächsten ist, weder nach seinem Haus, nach seinem Ochsen, nach seinem Esel und nach seinem Grund, noch nach allem dem, was auf demselben wächst.“

3. Wenn wir dieses Gebot hier betrachten, so müssen wir offenbar uns in die nämlichen Urteile verlieren und die nämliche Kritik durchmachen, die wir schon bereits im siebten Gebot haben kennengelernt. Denn auch hier ist abermals vom Eigentum die Rede, wo man nach dem kein Verlangen haben soll, was da, versteht sich von selbst, sich einer oder der andere nach außen hin rechtlich zueignet.

4. Wer sollte da nicht sogleich wieder auf die Frage kommen und sagen: Wie konnte wohl dieses Gebot dem israelitischen Volk in der Wüste gegeben werden, indem daselbst doch niemand weder ein Haus, noch einen Ochsen, noch einen Esel, noch einen Grund und eine Saat auf demselben hatte? Man müsste sich nur dieses Eigentum bei dem israelitischen Volk gegenseitig eingebildet haben. Und da könnte es allenfalls so viel heißen: Wenn sich dein Nächster irgendetwas Ähnliches zu besitzen einbildet, so sollst du dir nicht auch einbilden, etwas Ähnliches oder gar die Einbildung deines Nächsten selbst dir also eigentümlich einzubilden, als wäre sie im Ernst dein Eigentum oder als möchtest du sie wenigstens als eigentümlich besitzen.

5. Ich meine, es werden hier nicht eben zu viel kritischer Urteile vonnöten sein, um das überaus Luftige solch eines Gebotes auf den ersten Blick einzusehen. Ein Gebot muss ja nur allzeit zu irgendeiner Sicherung einer festen wirklichen Realität da sein, an deren Verlust einem jeden etwas gelegen sein muss. Was aber ein Luftschlösserarchitekt gegen einen anderen Luftschlösserarchitekten verliert, so dieser sich im Ernst die gesetzwidrige Dreistigkeit nehmen sollte, seinem Gefährten ähnliche Luftschlösser zu bauen, ich meine, solch einen enormen Schaden abzuwägen, [dazu] würde wohl eine ganz entsetzlich fühlbare, überaus ätherisch fein geisterhafte Haarwaage vonnöten sein. Sollte nach der Meinung einer gewissen Sekte auf der Erde der Erzengel Michael mit dergleichen Instrumenten im Ernst zum Überfluss versehen sein, so bin ich aber doch fest überzeugt, ein so überaus zartfühlendes Gewicht-Maßinstrument fehlt ihm sicher.

6. Ich zeigte aber hier solches nur an, um dadurch das völlig Nichtige eines rein eingebildeten Besitztums so klar als möglich vor die Augen zu stellen. Wenn sich die Sache aber so verhält, wozu dann ein solches Gebot, welches durchaus keine Sicherung des Eigentums eines anderen im Schilde führen kann, wo niemand ein ähnliches Eigentum besitzt, nach dem man zufolge dieses Gebotes kein Verlangen tragen soll?

7. Man wird aber hier einwenden und sagen: Der Herr hat das vorausgesehen, dass sich die Menschen mit der Zeit untereinander ein Eigentumsrecht kreieren werden, und in dieser Hinsicht bei dieser Gelegenheit schon im Voraus ein Gebot erlassen, durch welches ein künftiges Eigentum der Menschen gesichert sein und niemand ein gegenseitiges Recht haben sollte, sich das Eigentum seines Nächsten auf was immer für eine Art zueignen zu dürfen. – Das wäre ein schöner Schluss! Ich meine, man könnte der göttlichen Liebe und Weisheit nicht leichtlich eine größere Entehrung zufügen als durch ein solches Judicium [Urteil].

8. Der Herr, der es doch sicher vor allem einem jeden Menschen abraten wird, sich auf der Erde etwas anzueignen, der Herr, vor dem jeder irdische Reichtum ein Gräuel ist, sollte ein Gebot erlassen haben zum Behuf und zur Begünstigung der Habsucht, der Eigenliebe, des Wuchers und des Geizes, ein Gebot zur sicheren Erweckung des gegenseitigen Neides?

9. Ich glaube, es wird hier nicht vonnöten sein, noch mehrere Worte zu verlieren; denn das Widersinnige solch einer Exegese liegt zu offen vor jedermanns Augen, als dass es nötig wäre, ihn durch ein Langes und Breites daraufzuführen.

10. Um aber die Sache doch auch für den Blindesten handgreiflich zu machen, frage ich einen jeden grundgelehrten Juristen: Worauf gründet sich denn das Eigentumsrecht ursprünglich? Wer hat denn dem ersten Menschen das Eigentumsrecht einer Sache eingeräumt? Nehmen wir an ein Dutzend Auswanderer in einem noch unbewohnten Erdstrich. Sie finden ihn und siedeln sich dort an. Laut welcher Eigentums- und Besitzrechts-Urkunde können sie sich denn eines solchen Landes als Eigentümer bemächtigen und sich als rechtmäßige Besitzer im selben sesshaft machen?

11. Ich weiß schon, was man hier sagen wird; nichts anderes als „Primo occupanti jus.“ [„Wer zuerst kommt, hat das Grundrecht.“] – Gut, sage ich, wer aber hat demnach von den zwölf Auswanderern mehr oder weniger Recht auf das neuaufgefundene Land? Man wird sagen: Streng genommen hat der erste Veranlassgeber zu der Auswanderung, oder der, der allenfalls vom Verdeck eines Schiffes dieses Land zuerst erschaut hatte, mehr Recht. Gut, was hat aber der Veranlassgeber vor den anderen? Wären sie nicht mit ihm gezogen, so wäre er sicher auch daheim geblieben. Was hat denn der erste Erschauer vor den übrigen? Dass er vielleicht schärfere Augen als die anderen hat? Sollen dann dieses nur ihm zugutekommenden Vorzuges wegen die anderen benachteiligt sein? Das wäre hoffentlich doch etwas zu unbillig judiziert! Also müssen doch sicher alle zwölf ein gleiches Eigentumsrecht auf dieses vorgefundene Land haben.

12. Was werden sie denn aber tun müssen, um ihr gleiches Besitztumsrecht auf dieses Land zu realisieren? Sie werden es teilen müssen in zwölf gleiche Teile. Wer aber sieht bei dieser Teilung nicht auf den ersten Wurf die Zwistigkeit ein? Denn sicher wird der A zum B sagen: Warum muss denn gerade ich diesen Teil des Landes in Besitz nehmen, der nach meiner Beurteilung offenbar schlechter als der deinige ist? – Und der B wird aus demselben Grunde erwidern: Ich sehe aber nicht ein, warum ich meinen Landteil gegen den deinigen vertauschen soll. – Und so können wir unsere zwölf Kolonisten zehn Jahre lang das Land teilen lassen, und wir werden es nicht erleben, dass da die Teilung allen vollkommen recht sein wird.

13. Aber die Zwölf werden etwa untereinander übereinkommen und das Land zu einem Gemeingut machen; ist das der Fall, kann da unter den Zwölfen ein das Eigentum sicherndes Gebot erlassen werden? Kann jemand dem anderen etwas wegnehmen, wenn das ganze Land allen gleich gehört und somit auch dessen Produkte, von denen ein jeder nach seinem Bedarf nehmen kann, ohne dem anderen dafür eine Rechnung zu legen?

14. Man ersieht hier im ersten Fall, dass ursprünglich eine Eigentumsrechtskreierung nicht leichtlich denkbar ist. Dass solches sicher der Fall ist, dürft ihr nur auf die ersten Ansiedler von gewissen Gegenden eures eigenen Landes hinblicken, als z. B. auf die sogenannten Herren Klostergeistlichen, die gewisserart die ersten Kolonisten einer Gegend waren. Wären sie mit der Teilung zurechtgekommen und hätten sie selbe für gut befunden, so hätten sie sicher kein Gemeingut daraus gebildet.

15. Kurz und gut, wir können tun, was wir wollen, so können wir nirgends ein ursprüngliches Eigentumsrecht herausfinden. Und wenn da jemand mit seinem „primo occupanti“ kommt, da frage ich, ob man den Postokkupanten [Nachbesitzer] bei seinem Auftreten in der Welt entweder gleich töten oder ihn langsam verhungern lassen sollte, oder sollte man ihn aus diesem Land treiben, oder ihn auf die Barmherzigkeit der Primookkupanten [Erstbesitzer] anweisen, und ihn aber daneben sogleich gegen die Primookkupanten mit dem neuesten Gebot belegen?

16. Ich meine, da ließe sich denn doch wohl fragen, aus welchem Grunde denn solch ein Postokkupant gegen die Primookkupanten sogleich bei seinem ersten Auftreten, für das er nicht kann, gleich zu einem Sündenbock gemacht werden sollte, während die ersten sich gegenseitig in dieser Art nie versündigen können? Welcher Jurist kann mir wohl solch ein Benehmen als rechtskräftig erweisen? Ich meine, man müsste hier nur einen Satan zum Advokaten machen, der solches zu erweisen imstande wäre; denn einem jeden nur einigermaßen richtig und billig denkenden Menschen dürfte ein solcher Rechtsbeweis wohl so gut als unmöglich sein.

17. Ich sehe aber schon, man wird sagen: Bei den ersten Kolonisierungen eines Landes kann zwischen den Kolonisten freilich wohl kein wechselseitiges Eigentumsrecht statthaben, besonders wenn sie sich untereinander fürs Gemeingut einverständlich ausgeglichen haben. Aber zwischen Kolonisationen, welche die ersten Staatenbildungen sind, tritt doch sicher sobald das Eigentumsrecht ein, sobald sie sich gegenseitig als bestehend festgestellt haben.

18. Gut, sage ich; wenn das der Fall ist, so muss sich fürs Erste eine jede Kolonie mit einem ursprünglichen Eigentumsrecht ausweisen. Wie aber kann sie das, nachdem sie nur ein Nutzungsrecht vom Herrn aus hat, aber kein Besitzrecht?

19. Das Nutzungsrecht hat seine Urkunde in dem Magen und auf der Haut. Wo aber spricht sich das Besitzrecht aus, besonders wenn man erwägt, dass ein jeder Mensch, sei er einheimisch oder ein Fremdling, in seinem Magen und auf seiner Haut dieselbe göttliche vollgültige Nutzungsrechtsurkunde mit sich bringt, wie sie der Einheimische hat? Wenn man sagt: Das Besitzrecht hat seinen Grund im Nutzungsrecht ursprünglich, so hebt dieser Satz sicher jedes spezielle Besitztum auf, weil jeder das gleiche Nutzungsrecht hat. Kehrt man aber die Sache um und sagt: Das Besitzrecht verschafft einem erst das Nutzungsrecht, da kann man dagegen nichts anderes sagen als das alte Rechtswort: „Potiori jus“ [das Recht des Stärkeren], was mit anderen Worten so viel sagen will als: Schlage so viel Nutzungsrechtsbesitzende tot, damit du dir allein einen Strich Landes durch die Gewalt deiner Faust völlig zueignen kannst.

20. Sollte etwa noch einigen fremden Nutzungsrechtsbesitzern der Appetit kommen, dir dein erkämpftes Besitztum laut ihres göttlichen Nutzungsrechtes streitig zu machen, so schlage sie alle schön fleißig tot, oder setze sie wenigstens im besseren Falle als steuerpflichtige Untertanen ein, damit sie in deinem erkämpften Besitztum im Schweiße ihres Angesichtes für dich arbeiten und du ihnen dann ihr Nutzungsrecht nach deinem Wohlgefallen bemessen kannst. Trete auf, wer da will, und erweise mir ein anderes Besitzrecht; fürwahr ich will ihm dafür meine ganze Seligkeit abtreten und mich dafür zu einem notdürftigsten Bürger der Erde machen lassen!

21. Wer kann, von göttlicher Seite betrachtet, den Krieg rechtfertigen? Was ist er? Nichts als ein grausamster Gewaltstreich, das Nutzungsrecht den Menschen zu nehmen und dafür ein Besitzrecht gewaltsam einzuführen, das heißt, das göttliche Recht vertilgen und an dessen Stelle ein höllisches einführen.

22. Wer könnte demnach von Gott aus wohl ein Gesetz erwarten, welches das ursprüngliche, in jedermanns Wesen sich deutlich beurkundende göttliche Nutzungsrechtsgesetz aufheben sollte, und an dessen Stelle mit göttlicher Macht und Autorität ein höllisches Besitztumsgesetz rechtskräftigen? Ich meine, das Widersinnige dieser Behauptung ist für einen Erzblinden sogar sonnenhell und klar ersichtlich und mit behandschuhten Händen zu greifen.

23. Daraus geht aber hervor, dass dieses Gesetz sicher eine andere Bedeutung haben muss, als es die Menschen darstellen, wie es nur das Besitztum sichert. Als göttliches Gesetz muss es ja auch ewig in allen Himmeln aus der Tiefe der göttlichen Ordnung geltend sein. Wo aber besitzt jemand im Himmel Häuser, Ochsen, Esel und Äcker? Im Himmel sind lauter Nutzungsrechtige, und der Herr allein besitzungsrechtig. Wir wollen daher sogleich zu der rechten Bedeutung dieses Gesetzes übergehen.

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