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Kapitel 87 Großes Evangelium Johannes, Buch 8

87. — Die Gründe der Templer für ihr Verhalten dem Herrn gegenüber

1. Hier besann sich ein Ältester und sagte: „Ihr hohen Römer und unsere Gebieter, ihr habt ganz recht, daß ihr uns einen schon lange verdienten Vorwurf machet; denn wir Juden befinden uns schon seit gar langem an der reinsten Quelle und wollen nicht daraus trinken! Aber wer schuldet daran? Seht, so jemand einen Schatz hat, da achtet er ihn nicht so hoch wie derjenige, der ihn nicht hat und ihn sich erst mühevoll irgend erwerben muß, so er ihn besitzen will! Hören wir von fremden Propheten und Weisen, so gieren wir nach ihrer Weisheit; aber die heimischen Propheten und Weisen achten wir nicht, weil wir sie von ihrer Geburt an kennen und dann bei ihrem Auftreten sagen: ,Woher kommt diesem die Weisheit und die wunderliche Tatkraft?‘ Kurz und gut, der Mensch und besonders wir schon alt gewordenen Juden sind träge und gleichgültig geworden gegen alles, was unter uns, wenn auch noch so außerordentlich, als neu auftritt; denn unser gewohntes und gemächliches Leben scheut alle weitere Arbeit und Mühe, und wir feinden aus diesem alleinigen Grunde daher alles an, was uns in unserer Ruhe und altgewohnten Behaglichkeit zu stören anfängt.

2. Wir sehen unser Unrecht bei uns und für uns sogar recht gut und klar ein, können uns aber dennoch des gewissen Ingrimms gegen den, der uns stört, nicht entschlagen. Wer schuldet wohl daran? Siehe, unsere alte und schon lange nicht mehr gestörte Gewohnheit! Je greller nun eine solche unsere behagliche Ruhe störende Erscheinung auftritt, desto unangenehmer wirkt sie auch auf uns und reizt uns zum Widerstand.

3. Ihr Römer seid Herren eines großen und mächtigen Reiches und lasset euch auch ganz behaglich gut geschehen, so im ganzen Reiche der Friede herrscht; so ihr aber von irgendeinem Teile des Reiches die Kunde erhaltet, daß dort das Volk sich wider euch erhoben hat, so fraget ihr auch nicht, ob etwa jenes Volk wegen zu großer Bedrückungen sich wider euch mit vollstem Menschenrechte erhoben hat, sondern ihr entsendet bald ein mächtiges Heer und züchtiget das aufgestandene Volk ohne alle Gnade und Rücksicht darauf, ob das Volk mit Recht oder Unrecht aufgestanden ist. Warum denn also? Weil euch das aufgestandene Volk aus eurer Ruhe und Behaglichkeit nur ein wenig aufgerüttelt hat. Ihr kennet das Volk und fraget dann auch in eurem Rate: ,Aber wie hat es dem Völklein nur beifallen können, sich wider uns zu erheben?‘, und saget dann: ,Na warte, du Völklein, du sollst deinen Mut und Aberwitz teuer büßen!‘ Warum saget ihr da nicht unter allerlei weisem Bedenken: ,Das kleine Volk hat sich zwar wider uns erhoben; aber wir wollen Friedensboten und auch Friedensrichter dahin entsenden, und diese sollen den Grund erforschen und auch in gute Erfahrung bringen, ob das Volk ein wohl erweisbares und gutes Recht dazu hatte!‘ Nein, das tut ihr nicht, und so ihr auch erführet, daß sich sogar ein Gott an die Spitze des bedrängten und darum aufgestandenen Volkes gestellt hätte, sondern ihr entsendet gleich ein Heer und fallet schonungs- und rücksichtslos über das Volk her; und solltet ihr vom Volke etwa gar einige Male geschlagen werden, dann wird der Beelzebub bei euch erst ganz und gar los sein, auch dann, so ihr gar wohl einsehen würdet, daß das Volk ein vollstes Recht hatte, sich wider euch zu erheben. Kurz, das Volk hat einmal eure Ruhe und Behaglichkeit gestört, und dafür bietet ihr dann auch alles auf, um es zu züchtigen, auch dann, so, wie gesagt, selbst ein Gott aus Seiner Güte, Weisheit und Erbarmung das Volk wider euch zum siegenden Aufstand ermuntert hätte!

4. Seht, so fragt bei gewissen Gelegenheiten der Mensch nicht nach Wahrheit und Recht, sondern handelt in seinem blinden Zorn und Grimm wider den, der ihn in seinem vermeintlichen Recht gestört hat, ob er es bei sich auch wohl einsieht, daß er schon von lange her in allem unrecht und seiner Ruhe und Behaglichkeit zuliebe auch stets nur die Lüge und den Betrug zu seinem Schutzschilde hatte!

5. Das ist nun auch bei den allermeisten Templern der Fall. Sie sehen bei und für sich wohl ein, daß sie schon seit langem wider das Gesetz Mosis und wider das Volk im Unrecht sind, und daß der große Meister aus Nazareth vollkommen recht hat; aber Er stört sie in ihrer irdischen Ruhe und Behaglichkeit, und sie hassen Ihn darum und möchten Ihn aus demselben Grunde vernichten, wie da jemand, der in einem süßen Schlummer sich befindet, eine lästige Fliege, die ihn in seiner behaglichen Ruhe stört, zu fangen und zu vernichten trachtet.

6. Du, hoher Römer, magst da freilich fragen und sagen: ,Ja, haben denn die Templer gar keinen Glauben mehr an einen Gott und an Sein Wort aus dem Munde der Propheten?‘ Da kann ich dir aus meiner höchsteigenen, vieljährigen Erfahrung sagen, daß es wohl vielleicht im ganzen Judenlande keinen Laien unter den Juden gibt, der da weniger Glauben hätte als ein Templer, besonders so er schon alt geworden ist. Die Jungen haben manchmal wohl noch so einen Schimmer von einer Art Autoritätsglauben; aber wenn sie so nach und nach innewerden, daß die Ersten und Alten, Schriftgelehrten und Vorgesetzten gar keinen Glauben haben, so verlieren sie dann auch allen Glauben, werfen sich bei und für sich geheim den griechischen Weltweisen in die Arme, genießen das spannelange Leben, so gut sie es nur immer vermögen, und der alte Jehova und Moses und die Propheten sind nichts als für sie nur darum bedeutungsvolle Aushängeschilder, weil sie ihnen durch die ihnen geweihten Satzungen und Zeremonien viele und große Schätze eintragen, mit denen sie ihr Wohlleben stets mehr und mehr fördern können.

7. So haben sich die Templer die Sache einmal recht gut eingerichtet und haben sich auch alles stets aus dem Wege zu räumen verstanden, was sich ihnen irgend in den Weg gestellt hat; und was sie allzeit taten, das tun sie noch und werden es, solange sie bestehen werden, fort tun.

8. Da hast du, hoher Römer, nun die Gründe ganz klar dargestellt, warum die Templer nun auch gegen diesen Nazaräer, den aber wir nun Hierseiende wohl der vollen Wahrheit nach für den verheißenen Messias halten, gar so zu Felde ziehen. Sie sagen: ,Lasset uns ihn erst ergreifen und töten, dann wird es sich schon zeigen, ob er wohl der verheißene Messias ist, ob es einen Gott gibt, und ob die Propheten alle keine Menschheitsbetrüger waren!‘

9. Daß der ganze Tempel nun also denkt und auch also handeln will, dafür können wir wahrlich nicht, und solange wir auch im Tempel beamtet sind, können wir gegen dessen unsinnigstes Geheul wenig oder nichts ausrichten; es ist schon viel, so wir dann und wann beschwichtigend einwirken können. Ich habe auf deine Aufforderung nun treu und wahr geredet, und du, hoher Römer, magst nun darüber dein Urteil aussprechen!“

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