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Kapitel 96 Die geistige Sonne, Buch 2

Grund des Verdecktseins des eigentlichen Sinnes des zehnten Gebotes

(Am 23. Oktober 1843 von 3 1/2 – 6 Uhr abends.)

1. Es werden hier so manche, die das Vorhergehende durchgelesen haben, sagen: Da sind wir im Ernst sehr neugierig darauf, was dieses Gebot für einen eigentlichen beständigen Sinn hat, nachdem jeder Sinn, den wir ehedem diesem Gebot beigelegt haben, unwiderlegbar ins Allerunsinnigst-Lächerlichste gezogen und dargestellt ward. Wir möchten im Ernst schon sehr gern erfahren, wer demnach der Du, der Nächste und dessen Weib ist? Denn aus dem Gebot lässt sich mit Bestimmtheit nichts aufstellen. Der Du kann wohl sicher jedermann sein, ob aber darunter auch ein Weib verstanden sein kann, das steht noch in weitem Felde. Der Nächste ließe sich wohl allenfalls etwas näher bestimmen, besonders wenn man dieses Wort in einem umfassenderen Sinne nimmt, wodurch dann jedermann unser Nächster ist, der irgend unserer Hilfe bedarf. Mit dem Weib aber hat es sicherlich den größten Anstand; denn man weiß nicht, wird darunter nur ein verheiratetes Weib oder auch das ledige weibliche Geschlecht mitverstanden. Es ist hier freilich mehr in der einfachen als in der vielfachen Zahl; aber das macht eben auch die Sache um kein Haar bestimmter. Denn wenn man in irgendeinem Erdteil die Polygamie annimmt, so hätte es da mit der einfachen Zahl offenbar wieder einen neuen Haken. Aus allem diesem sind wir umso neugieriger auf den eigentlichen Sinn dieses Gebotes, indem der Buchstabensinn allenthalben ganz gewaltig unstichhaltig ist.

2. Und ich sage hinzu: Also ist es bestimmt und klar, dass sich mit der Annahme des puren äußeren Buchstabensinnes nur der größte Unsinn, nie aber irgendeine gegründete Wahrheit darstellen lässt.

3. Man wird hier freilich wohl sagen: Ja warum hat denn der Herr das Gesetz nicht sogleich so gegeben, dass es für jedermann nicht verdeckt, sondern ganz offen so erschiene, in was für einem Sinne es eigentlich gegeben und wie es nach eben diesem Sinne zu beobachten ist?

4. Diese Einwendung lässt sich dem außen nach wohl hören und klingt als eine ziemlich weise gestaltete Antiphrase; aber beim Licht betrachtet ist sie so schön dumm, dass man sich nicht leichtlich etwas Dümmeres vorstellen kann. Damit aber die außerordentliche Albernheit dieser Einwendung einem jeden sogleich in die Augen fällt, als stünde er nur wenige Meilen von der Sonne entfernt und diese doch sicher plötzlich mit seinen Augen wahrnehmen würde – oder damit es einem dabei wird, wie dem, der in einem Wald den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht, so will ich für diese Gelegenheit einige natürliche, ganz kurz gefasste Betrachtungen aufstellen.

5. Nehmen wir an, einem sogenannten Naturforscher und Botaniker möchte es der Bequemlichkeit seiner Untersuchung wegen einfallen [folgendermaßen zu fragen], und [diese Frage würde] also lauten: Warum hat denn die schöpfende Kraft des schaffenden allerhöchsten Wesens die Bäume und Pflanzen nicht so erschaffen, dass der Kern auswendig und die Rinde inwendig wäre, auf dass man mit leichter Mühe durch Mikroskope das Aufsteigen des Saftes in die Äste und Zweige und dessen (nämlich des Saftes) Reaktionen und andere Wirkungen genau beobachten könnte? Denn es kann doch nicht des Schöpfers Absicht gewesen sein, den denkenden Menschen sogestaltet auf die Erde zu setzen, dass er nie in das Geheimnis der Wunderwirkungen in der Natur eindringen sollte. – Was sagt ihr zu diesem Verlangen? Ist es nicht im höchsten Grad dumm?

6. Nehmen wir aber an, der Herr möchte Sich von einer solchen Aufforderung bestechen lassen und die Bäume also umkehren samt den Pflanzen – werden da nicht gleich wieder andere Naturforscher hinzukommen und sagen: Was nützt uns die Betrachtung des auswendigen Kerns, da wir dabei nicht die wunderbare Bildung der inneren Rinde entdecken können? – Was folgt nun hieraus? Der Herr müsste Sich auch jetzt wieder fügen und auf eine mir fürwahr nicht begreifliche Art Rinde und Kern auswendig am Baum anbringen. Nehmen wir aber an, der Herr hätte solches im Ernst zuwege gebracht und das Inwendige des Baumes besteht nun bloß im Holz. Wird da nicht ein anderer Naturforscher sobald ein neues Bedürfnis kundgeben und sagen: Durch die Rinde und auf einer Seite durch den Kern ist nun die ganze wunderbare Bildung des Holzes verdeckt. Könnte denn ein Baum nicht so gestaltet sein, dass alles, Kern, Holz und Rinde auswendig wäre oder wenigstens so durchsichtig wie die Luft?

7. Ob man einen aus notwendig zahllos vielen Organen zusammengefügten Baum so durchsichtig wie die Luft oder wenigstens wie ein reines Wasser gestalten kann, das sollen Optiker und Mathematiker entscheiden. Was aber übrigens auf vollkommen luftigen Bäumen für Früchte wachsen werden, das dürfte einer ungefähr in den Gegenden des Nordpols oder Südpols in gute Erfahrung bringen. Denn dort geschehen manchmal solche Phänomene, dass zufolge der großen Kälte, auf die Weise wie bei euch im Winter auf den Glasfenstern, dort aber in der Luft kristallinische Eisbäume aufschießen. Ob auf diesen Bäumen auch Feigen und Datteln zum Vorschein kommen, ist bis jetzt noch nicht ermittelt worden.

8. Was aber andererseits diejenigen Bäume betrifft, wo alles, Kern, Holz und Rinde, auswendig sein sollte, so könnt ihr dessen vollkommen versichert sein, dass es ebensoleicht wäre, eine viereckige Kugel zu machen als einen solchen Baum. Ich meine, durch diese Betrachtung sollte die Dummheit obiger Einwendung schon so ziemlich sonnenhaft vor den Augen liegen. Aber um die Sache, wie gewöhnlich, wahrhaft überflüssig klar zu machen, wollen wir noch ein paar Betrachtungen hinzufügen.

9. Nehmen wir an, ein Arzt muss sehr viel studieren, und wenn er schon einen ganzen schweren Wagen voll Gelehrsamkeit gleich einem Polypen in sich eingeschlürft hat, und dann zu einem bedenklich kranken Patienten verlangt wird, so steht er nicht selten also am Krankenlager, wie ein paar neueingespannte Ochsen an einem steilen Berg. Der Arzt wird von den Umstehenden gefragt: Wie finden Sie den Kranken, was fehlt ihm denn? Wird es ihm wohl zu helfen sein?

10. Ob dieser Fragen macht der Arzt ein zwar gelehrtes, aber dabei dennoch stark bedenklich verlegenes Gesicht und spricht: Meine Lieben! Jetzt lässt sich noch nichts bestimmen, ich muss erst durch eine Medizin die Krankheit prüfen. Werden sich da Reaktionen so oder so ergeben, so werde ich schon wissen, wie ich daran bin. Treten aber hier keine Reaktionen auf, da müsst ihr selbst einsehen, dass unsereiner in den Leib nicht hineinschauen kann, um den Sitz der Krankheit nebst ihrer Beschaffenheit ausfindig zu machen.

11. Da spricht aber jemand etwas lakonisch: Herr Arzt, da hätte unser Herrgott wohl besser getan, wenn Er den Menschen entweder so erschaffen hätte wie der Schreiner einen Schrank, den man aufsperren und hineinsehen kann, was darinnen ist. Oder der Schöpfer hätte sollen bei dem Menschen die heikleren Teile, zu denen man auf diese Weise so schwer gelangen kann, gleich den Fingern, Ohren, Augen und Nasen außerhalb gestellt haben, damit man diesem Teil sogleich leicht entweder mit einem Pflaster, mit einer Salbe oder mit einem anderen Umschlag zu Hilfe kommen könnte. Am besten aber wäre es offenbar, Er hätte entweder den Menschen sollen durchsichtig wie das Wasser erschaffen oder Er hätte ihn überhaupt nicht sollen aus gar so lebensgefährlichen Teilen zusammensetzen und ihn überhaupt mehr wie einen Stein gestalten sollen.

12. Der Arzt rümpft hier etwas die Nase, spricht aber dennoch: Ja, mein lieber Freund, das wäre freilich gut und besser, aber es ist einmal nicht so, wie du soeben den Wunsch geäußert hast. Und so müssen wir uns schon damit zufriedenstellen, wenn wir nur auf dem Weg der Erfahrungen etwas genauer über den inneren Gesundheits- oder Krankheitszustand eines Menschen zu schließen imstande sind. Denn wäre der Mensch auch wie ein Kasten aufzumachen, so wäre das fürs Erste für jeden Menschen noch um vieles lebensgefährlicher, als es so ist; nur ein ein wenig ungeschickter Griff in das Innere [wäre lebensgefährlich], und könnte man auch durch ein solches Aufmachen die Eingeweide beschauen, so würde aber einem das noch sehr wenig nützen. Die Eingeweide und ihre feinen Organe müssen doch verschlossen bleiben, indem bei Eröffnung derselben auch auf der Stelle alle Lebenssäfte und alle Lebenstätigkeit flott würden. Was aber die auswendige Stellung der inwendigen Leibesteile betrifft, fürwahr, mein Lieber, das gäbe der menschlichen Gestalt durchaus einen höchst unästhetischen Anblick. Und wenn der Mensch erst völlig durchsichtig wäre, so würde sich ein jeder gegenseitig vor dem anderen erschrecken, denn er würde da einmal den Hautmenschen, dann den Muskelmenschen, den Gefäßmenschen, den Nervenmenschen und endlich den Knochenmenschen auch zu gleicher Zeit erschauen. Dass ein solcher Anblick nicht einladend wäre, das kannst du wohl dir von selbst einbilden.

13. Ich meine, bei dieser Betrachtung wird einem das Alberne der obigen Einwendung noch klarer in die Augen springen.

14. Aber es ist noch jemand, der da spricht: Solches ist bei natürlichen, materiellen Dingen freilich wohl widersinnigst zu denken, dass da ihr Inwendiges auch zugleich ihr Äußeres ausmachen sollte. Aber das Wort für sich ist ja doch weder ein Baum, noch ein Tier, noch ein Mensch, sondern es ist schon an und für sich geistig, indem es nichts Materielles an sich trägt. Warum sollte das hernach noch gleich einem Baum oder Menschen irgendeinen unbegreiflichen inneren Sinn haben? Oder wie sollte dieser möglich sein, wenn man die ohnehin außerordentliche Einfachheit und Flachheit des Wortes betrachtet?

15. Gut, sage ich, nehmen wir das Wort „Vater“. Was bezeichnet es? Ist das Wort schon der Vater selbst oder bezeichnet das Wort wirklich einen wesenhaften Vater, von dem ebendieses Wort bloß nur ein äußerer Merkmalstypus ist? Man wird sagen: Offenbar ist hier das Wort nicht der Vater selbst, sondern nur eine äußere Bezeichnung desselben. – Gut, sage ich, und frage aber dabei: Was muss man denn dann alles unter diesem Wort verstehen, auf dass man ebendieses Wort als einen äußeren richtig bezeichnenden Typus anerkennt? – Antwort: Das Wort muss einen Menschen darstellen, der ein gehöriges Alter hat, verheiratet ist, mit seinem Weib wirklich lebende Kinder erzeugt hat und dieselben dann wahrhaft väterlich leiblich und geistig versorgt.

16. Wer kann hier nur im Geringsten in Abrede stellen, dass diese ziemlich gedehnte und überaus wesentliche Bedeutung im einfachen Wort „Vater“ stecken muss, ohne welche dieses Wort gar kein Wort wäre?

17. Wenn aber schon in äußeren Beziehungen ein jedes einfache Wort eine mehr inwendige Erklärung und Zergliederung zulassen muss, um wie viel mehr muss demnach ein jedes äußere Wort auch einen inwendigen geistigen Sinn haben, indem doch sicher alles, was durch äußere Worte bezeichnet wird, selbst ein inwendiges Geistiges, also Kraftvolles und Wirkendes haben muss. Ein Vater hat sicher auch Seele und Geist. Wird das Wort den Begriff „Vater“ wohl richtig bezeichnen, wenn es sein Seelisches und Geistiges ausschließt? Sicher nicht, denn der wesenhafte Vater besteht aus Leib, Seele und Geist, also aus Auswendigem, Innerem und Inwendigstem. Wenn sonach der wesenhafte Vater lebendig also beschaffen ist, muss solches dann nicht auch wie in einem Spiegel im Wort, durch das der wesenhafte Vater als Vater bezeichnet wird, ebenso gut vollkommen bezeichnend zugrunde liegen?

18. Ich meine, deutlicher und klarer lässt sich ein notwendiger innerer Sinn des Wortes nicht darstellen. Und daraus aber kann auch ersichtlich sein, dass der Herr, so Er auf der Welt Seinen Willen kundgibt, Er ihn für äußere Menschen nach Seiner ewigen göttlichen Ordnung nicht anders kundgeben kann, als eben nur durch äußere, bildliche Darstellungen, in denen dann offenbar ein innerer und ein innerster Sinn zugrunde liegt; wodurch dann der ganze Mensch von seinem Inwendigsten bis zu seinem Äußersten nach der göttlichen Liebe versorgt ist.

19. Da wir aber nun die Notwendigkeit und die Gewissheit solcher Einrichtung mehr als handgreiflich dargetan haben, so wird es nun auch ein gar Leichtes sein, den inneren, wahren Sinn unseres Gesetzes beinahe von selbst zu finden, und so er von mir dargestellt wird, wenigstens als den unumstößlich einzig wahren und allgemein geltenden zu erkennen. Und so gehen wir sogleich zu solcher Darstellung über!

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