Help

jakob-lorber.cc

Kapitel 98 Die geistige Sonne, Buch 2

Das elfte Gebot – die Gottesliebe. Gleichnis vom Sonnenaufgang

(Am 30. Oktober 1843 von 4 1/4 – 6 1/4 Uhr abends.)

1. Wir sind bereits in diesem Saal und ersehen hier in der Mitte des Saales ebenfalls auf einer großen, weißen, glänzenden Säule eine runde Tafel. Sie glänzt wie die Sonne, und in ihrer Mitte steht mit rubinrot leuchtender Schrift geschrieben:

2. „Du sollst Gott deinen Herrn lieben über alles, aus deinem ganzen Gemüt und aus allen deinen von Gott dir verliehenen Lebenskräften“.

3. Nebst dieser inhaltsschweren, prachtvollen Sonnentafel erblicken wir auch, mehr als sonst in irgendeinem Saal, eine Menge schon völlig groß gewachsener Kinder, welche, wie ihr bemerken könnt, bald die Tafel anblicken, bald sich wieder mit ihren Lehrern besprechen und bald ganz in sich versunken, die Hände kreuzweise auf die Brust legend, gleich Statuen dastehen. Der ganze Anblick sagt schon im Voraus, dass es sich hier um etwas gar außerordentlich Wichtiges handle.

4. Es dürfte vielleicht mancher fragen und sagen: Solches stünde wohl offenbar zu erwarten. Aber wenn man die Sache recht beim Licht betrachten will, so will dieses auf der Sonnentafel aufgeschriebene Gebot ja doch sicher nichts anderes sagen, als was im Grunde zusammengenommen alle die früheren Gebote gesagt haben. Warum muss denn gerade diese Tafel hier also glänzen, während doch alle übrigen vorhergehenden zehn Tafeln nur ganz einfach weiß und wie gewöhnlich mit einer dunklen Substanz beschrieben waren? – Diese Bemerkung ist nicht ganz ohne Gehalt. Dessen ungeachtet aber verliert sie hier ihren Wert, so wie alle anderen Lehren und Behauptungen gegen ein einziges Wort aus dem Munde des Herrn all ihren Schein notwendig verlieren müssen.

5. Es verhält sich mit der Sache gerade so, wie es sich auf der Welt in der großen Natur tagtäglich nahe handgreiflich beurkundet. Nehmen wir an, wie viele tausend und tausendmal tausend kleinere und mitunter auch stärkere und etwas größere Lichter strahlen in jeder Nacht aus den hohen Himmeln zur finsteren Erde herab. Der Mond selbst ist nicht selten die ganze Nacht hindurch tätig. Neben diesen herrlichen Lichtern zünden zur Nachtzeit die Menschen auf der Erde nahe ebenso viele künstliche Lichter an.

6. Bei diesem schauerlichen Wust von Lichtern und Lichtern sollte man doch glauben, es müsse in der Nachtzeit auf der Erde vor lauter Licht gar nicht auszuhalten sein. Allein die Erfahrung hat noch allzeit gezeigt, dass es auf der Erde nach dem Untergang der Sonne trotz der stets mehr und mehr auftauchenden Lichter am Himmel auch stets finsterer wird, je tiefer sich die Sonne unter den Horizont hinabsenkt.

7. Wer kann sagen, diese Lichter seien nicht herrlich? Ja, ein nur mittelmäßiger Verehrer der Wunder Gottes muss beim Anblick des gestirnten Himmels zur Nachtzeit sich auf die Brust klopfen und sagen: O Herr, ich bin nicht würdig, in diesem Deinem Heiligtum, in diesem Deinem unendlichen Allmachtstempel zu wandeln! – Ja fürwahr, man kann in jeder Nacht mit vollstem Recht ausrufen: O Herr! Wer Deine Werke betrachtet, hat eine eitle Lust daran!

8. Warum denn eine eitle? Weil ein jeder Mensch für sich im Ernst hinreichenden Grund hat, aus lauter Lust und Wonnegefühl darum fromm-eitel zu sein, weil Derjenige, der solche Wunderwerke erschuf, sein Vater ist!! Es hat also ein jeder gar billigermaßen ein heiliges Recht darauf, sich zu freuen, wenn er also in einer Nacht mehr in sich zurückgekehrt die großen Wunderwerke seines allmächtigen Vaters betrachtet. Und fürwahr, die Flamme einer Lampe und die am Herd ist nicht minder ein Wunderwerk des allmächtigen Vaters, als das brillant strahlende Licht der zahllosen Sterne des Himmels!

9. Und seht nun, aller dieser hoch zu bewundernden Wunderpracht gleicht das Alte Testamentswort in allen seinen Teilen.

10. Wir erblicken an diesem alten, aber immer noch nächtlichen Himmel eine kaum zählbare Menge von größeren und kleineren Lichtern. Sie strahlen herrlich, und wer sie betrachtet, wird allzeit mit einer geheimen, heiligen Ehrfurcht erfüllt. Warum denn? Weil sein Geist Großes ahnt hinter diesen Lichtern. Aber sie sind noch zu weit entfernt von ihm. Er kann schauen und greifen und fühlen, aber die kleinen Lichter wollen mit ihrem großen Inhalt seinem forschenden Geist nicht näher rücken.

11. Wer sind aber diese Himmelslichter in dem alten Himmel des Geistes?

12. Seht, es sind alle die euch bekannten vom Geist Gottes erfüllten Patriarchen, Väter, Propheten, Lehrer und Führer des Volkes. Aber auch auf der Erde gibt es ja eine Menge künstlicher Lichter, wer sollen denn diese sein im Alten Testament? Das sind diejenigen achtenswerten Menschen, die nach dem Wort, welches aus dem gottbegeistigten Menschen kam, treulich lebten und durch ihren Lebenswandel ihre Nachbarn erleuchteten und erquickten.

13. Also haben wir diese recht herrliche Nachtszene vor uns. Wohl werden durch so manche nächtliche Partialstürme hier und da die Strahlen des Himmels mit schnell dahineilenden Wolken flüchtig verdeckt. Aber derselbe Sturm, der ehedem eine lichtfeindliche Wolke über das prachtvolle Sternengezelt brachte, eben derselbe Sturm treibt diese Wolke über den Horizont hinab, und nach ihm wird reiner das Firmament, als es zuvor war. Alles wird ängstlich ob eines solchen kurzwährenden Sturmes und wünscht sich wieder die ruhige, herrliche, von so vielen tausend Lichtern durchleuchtete Nacht. Aber ein Naturkundiger spricht: Solche Stürme sind nichts als gewöhnliche Vorboten des nahen Tages, daher solle man nicht ängstlich sein.

14. Also ist es auch fürwahr. Denn wo große Kräfte in Bewegung gesetzt werden, da kann man doch mit Recht schließen und sagen: Hier kann eine noch größere, ja die allergrößte Urkraft nicht fern sein, denn kleine Winde sind nichts als Seitenströmungen eines irgend nicht sehr fernen großen Orkans. Also hat unser Naturkundiger ja recht, und wir erquicken uns noch immer an der herrlichen Pracht der Wundermacht.

15. Wir schwärmen gleich den Verliebten unter den vielen Fenstern des großen Prachthauses herum, und blicken mit phantasie- und sehnsuchtsvoller Brust hinauf zu den durch eine Nachtlampe schwach erleuchteten Lichtöffnungen des Hauses, hinter denen wir den Gegenstand unserer Liebe wittern.

16. Viele Ahnungen, tausend inhaltsschwere Gedanken zucken da gleich Sternschnuppen über unseren Liebehimmel, aber kein solch flüchtiges ephemeres Licht will dem Durst unserer Liebe eine genügende Labung reichen.

17. Also geht es den Menschen auch in dem alten nächtlichen Sternenhimmel des Geistes. Aber was geschieht? Der Aufgang fängt sich an zu röten, heller und heller wird es über dem Horizont des Aufganges. Noch einen Blick nach dem ehemals so herrlichen Himmel, und was ersieht man? Nichts anderes, als einen Stern um den anderen verschwinden.

18. Die Sonne, die herrliche, geht mit ihrem urewigen Tagesglanz auf und kein Sternchen am Himmel ist mehr zu erschauen, denn die eine Sonne hat jedes Himmelsatomchen heller gemacht mit dem einen Licht, als in der Nacht all die zahllosen Sterne zusammengenommen so etwas zu bewirken imstande gewesen wären.

19. Und dem harrenden Verliebten, der die ganze Nacht hindurch vergeblich geschwärmt hatte, geht am für ihn inhaltsschweren Haus nur ein Fenster auf. Und von diesem einen Fenster begrüßt ihn der ersehnte Gegenstand seines Herzens und sagt ihm mit einem wohlwollenden Blick mehr als ehedem die Nacht hindurch seine zahllosen Phantasien und Gedanken!

20. So sehen wir in der großen Natur eine Szene tagtäglich, die der unsrigen geistigen vollkommen entspricht.

21. Den Mond, gleich dem Moses, sehen wir mit abnehmendem und ganz erblasstem Licht soeben hinter das abendliche Gebirge untertauchen, als die mächtige Sonne am Morgen über den Horizont emporsteigt. Was ehedem in der Nacht auch immer in ein noch so geheimnisvolles Dunkel gehüllt war, steht jetzt hell erleuchtet vor jedermanns Augen!

22. Das ist alles die Wirkung der Sonne. Und am geistigen Himmel alles die Wirkung des Einen Herrn, des Einen Jesus, der da ist der alleinige Einige Gott Himmels und aller Welten!

23. Was Er Selbst in Sich ist als die göttliche Sonne aller Sonnen, das ist auch ein jedes einzelne Wort aus Seinem Munde gesprochen gegen alle zahllosen Worte aus dem Munde begeisterter Patriarchen, Väter und Propheten. Zahllose Ermahnungen, Gesetze und Vorschriften ersehen wir im Verlaufe des Alten Testamentes. Das sind Sterne und auch künstliche Lichter der Nacht. Dann aber kommt der Herr, spricht ein Wort nur, und dieses Wort wiegt das ganze Alte Testament auf!

24. Und seht, aus eben diesem Grunde erscheint auch dieses eine erste Wort hier in diesem elften Saal als eine selbstleuchtende Sonne, deren Licht zahllose Sterne wohl erleuchtet, aber es dagegen ewig nimmer vonnöten hat, sich des Gegenschimmers der Sterne zu bedienen. Denn es ist ja das Urlicht, aus dem alle die zahllosen Sterne ihr teilweises Licht genommen haben.

25. Und so wird es denn auch hier in dieser Erscheinlichkeit sicher begreiflich sein, warum die vormaligen zehn Tafeln nur allein weiß, also mattschimmernd, aufgerichtet sind, wogegen wir hier das urewige Sonnenlicht dargestellt erschauen, das keines Vor- und Nachtlichtes bedarf, sondern schon in sich alles Licht fasst.

26. Wer dieses nur einigermaßen beherzigt, der wird es sicher vollkommen einsehen, warum der Herr gesagt hat: „In diesem Gebot der Liebe sind Moses und alle Propheten enthalten“. Es ist sicher ebenso viel gesagt, als so man natürlichermaßen sagen möchte: Am Tag erblickt man darum die Sterne nicht mehr und hat deren Licht auch nicht mehr vonnöten, weil all ihr Licht in dem einen Licht der Sonne zahllos aufgewogen wird. – Wie aber durch solches hier die vollste Wahrheit sich handgreiflich darbietet, werdet ihr in der Folge ersehen.

Kapitel 98 Mobile Ansicht Impressum